Aus der sadomasochistischen Praxis: Tantra und BDSM
Wieso eigentlich neuerdings dieser Schulterschluss zwischen finsteren Dominas und erleuchteten Fusselhippies? SM und Tantra – ist das nicht ein Gegensatz wie Gefängniswärter und Sozialarbeiter? Ist das ein Gegensatz?
Fusseldomina Pixie rät: Solange wir alle im selben Knast feststecken und sich jemand finden lässt, der uns eine Feile in den Kuchen backt, ist es vollkommen ok freudig bereit zum Ausbruch zu sein, jenseits von weltanschaulichem Dünkel.
Und tatsächlich bin ich der Meinung, dass sowohl Tantra als auch BDSM bestes Befreiungspotential für uns bergen, und die Mischung erst recht.
Die Tantra-Massage ist eine Berührungstechnik, die auf das Körperbewusstsein und Körperunbewusstsein zielt. Indem der Tantra-Masseur seine ganze innere Aufmerksamkeit auf dich richtet, oder viel mehr auf alles in dir was Licht und Liebe ist, schafft er es seine Berührung besonders entspannend, ja geradezu heilsam werden zu lassen.
Im Tantra geht es um die bedingungslose Annahme dessen was ist, und – oh Wunder – was herauskommt ist Schönheit und Wärme.
Ein oder zwei Stunden hüpfe ich – in meiner Funktion als Tantra-Domina Pixie Pee Magic – wie wild auf dir herum, streichle ganz langsam mit der Peitsche über deine Hoden zum Bändchen hinauf, knete, presse, drücke, fessle dich und entfessle dich. Ich packe dich in warme, feuchte Tücher und öle dich ein. Und dann ziehe ich mit meinem Fingernagel eine unsichtbare Spur von deiner Augenmitte bis zu deinem Zeh. Ich halte dich. Ich halte deinen Kopf, meine Hand auf deiner Stirn, berühre deine Augenlider und jedes deiner Chakren einzeln der Reihe nach. Ich rüttle dein Interface. Ich fahre mit meinem Finger zwischen deine Arschbacken (Wurzelchakra) und gebe dir eine sehr gefühlvolle Prostatamassage, bevor ich meinen Zauberstab (Strap-On) in dir versenke. Möglicherweise pinkle ich dir ins Gesicht.
Es ist spektakulär, aber um was es geht ist das tiefe Spüren und eine warme Energie, die zwischen uns fliesst und die uns unser überreflexives Ich vergessen lässt.
Genau das Gleiche übrigens, was bei einer SM-Session ohne Tantra passiert.
Der klassische SM kommt allerdings mehr über den Kopf daher.
Den Kopf eines wissenschaftlich interessierten Metzgers, der sich gerne noch ein bisschen mit den Schweinchen im Schmutz suhlt bevor er sie zum Grillen fertig macht.
Im SM sieht man Menschen in Rollen. In der Rolle des unterwürfigen Dieners, des bemühten Liebhabers, der strengen Lady, des niedlichen Hündchens, des bösen Wolfs, der die Grossmutter verspeist hat und von Rotkäppchen gerächt wird (nur so als Beispiel). Der Bizarrpsychiaterin mit Spezialisierung auf die Störungen der sexuellen Präferenz und ihres aufmüpfigen Patienten, des betrogenen Ehemanns der gerade zuguckt wie seine Frau grossen Spass hat – ohne ihn.
Erst dann wendet man sich dem Körpers zu.
Ich liebe diese oft aberwitzigen Kausalzusammenhänge, die man als Domina beständig übt herzustellen, um endlich zu zwicken, zu ohrfeigen, zu klammern und zu peitschen, zu fixieren, zu dehnen, zu fisten und ja, natürlich auch um sanft zu berühren.
Wo man beim Tantra über die Körperberührung ins Schweben kommt, geht man im SM gerne mal den Umweg über Ratio und vermeintliche Unvernunft, über Worte, Situationen, Schamhaftes und Tabubesetzes, Ledermasken und Latexanzüge, oh yeah… aber das Ergebnis ist das Gleiche: wir finden in den Moment, und dann lassen wir los.
Eine Domina hilft dabei, denn sie gibt dir die Erlaubnis dazu. Sie hat die Kontrolle über den willigen Devotling, das resistente Sklavenstück oder das geschirrte Pony, für die nächste Stunde weiss sie genau in welche Richtung galoppiert wird und du musst dir keine Gedanken mehr um dich machen. Du gibst dich ab in deine Rolle, die sich unter den Händen der Domina ausformt. Du kannst ihr vertrauen, sie wird absolute Sorge um die Kreatur (dich) tragen.
Auch in der ‚Tantra-Massage mit SM-Elementen‘ und genauso in der klassischen Tantra-Massage gibt es eine klare aktiv – passiv Aufteilung. Die Massage-Gebende berührt wohin ihre Impulse sie gerade tragen und entscheidet welchen Flogger, welchen Druckpunkt, welchen aufblasbaren Plug sie als nächstes benutzt. Der Zu-Massierende empfängt.
Er selbst darf nicht berühren, er soll einfach nur tief spüren können, ohne sich um irgendetwas kümmern zu müssen. Er fühlt sich gehalten, umsorgt, wahrgenommen und geliebt, er kann der Masseurin vertrauen, dass sie ganz bei ihm ist und gut auf ihn aufpasst.
Letztens habe ich von Martin Walser ‚Ein sterbender Mann‘ gelesen. Der sterbende Mann erkennt, dass es nichts Interessanteres gibt als da zu sein (Er war immer abgelenkt vom Lesen). Die immersive Verwicklung in eine gelungene SM-Session oder eine Tantra-Massage ist nichts anderes als das beglückende Gefühl da zu sein. Das Hinterfragen verschwindet in Einheit mit dem Ganzen. Oder wie ‚Sexworker of the Year 2016‘ Seani Love es letztens im ‚Conscious Kink‘ Workshop formuliert hat: ‚I’ve got you, i’ve got you undistracted. I’ve got you in your body‘.
Tantra und BDSM, und selbstredend die Kombination von beidem, haben gleichermassen die Kraft das Selbst temporär vom Leiden zu befreien.
SM verfestigt den Schmerz nicht – wie eine meiner Tantra-Lehrerinnen einmal die Befürchtung geäussert hat.
Die vermeintliche Demütigung und Gewaltanwendung in einer einvernehmlichen SM-Session scheint mir vielmehr eine Art Eigenblutdoping auf dem Weg von der sprichwörtlichen Versklavung zum freien Fliegen zu sein.
Der Freiburger Psychoanalytiker und Körperpsychotherapeut Dr. Tilmann Moser berichtet, dass seine Klienten in der Sitzung sowohl auf Angebote der Geborgenheit, als auch auf Kraft und Widerstand positiv reagieren.
Er arbeitet in seiner psychoanalytisch orientierten Gesprächstherapie mit Berührungsangeboten, zum Beispiel in der Form von Hände halten oder Hand auf den Kopf legen, oder auch Hände voneinander wegdrücken, Faust entgegen stemmen etc. Er kommt zu dem Schluss, dass seine Methode bei der Linderung von depressiven Verstimmungen wirksam ist.
Die Mischung von Angeboten der Geborgenheit in Verbindung mit Kraft und Widerstand wurde auch in renommierten Tantrainstituten wie dem ‚Ananda’ in Köln entdeckt und wird dort als ‚Liberty Massage‘ zusätzlich zum klassischen Tantramassageprogramm angeboten.
Und auch für den Hobby-Heiler gibt es immer mehr Workshops und Kurse in denen beispielsweise die Verbindung von Bondage und tantrischer Berührung gelehrt wird.
Die Achtsamkeit nämlich, in Kombination mit der besonderen Intensität des Gehaltensein, und die Verbundenheit über die Seile, wie sie hier beigebracht wird, wirkt sich tatsächlich auf viele heilsam aus – jeder sollte das können, vor allem alle, die ich heute in der U-Bahn getroffen habe – ein wunderbares Hobby und erfüllend als Profession!
Vielleicht kann man es so festhalten. Wer über eine Viertelstunde hinweg nach und nach jeden einzelnen Gesichtsmuskel entspannt, der beginnt automatisch zu lächeln. Das ist die klassische Tantramassage.
Wer mich zum Lachen bringt, weil er unter seiner Wolfsmaske mit ernster Stimme versichert, dass er nicht die Grossmutter gefressen hat, obwohl ich es durch die rektale Abtastung doch genau spüre… der ist so in seiner Rolle, dass er sein Ich bereits schön locker gelassen hat. Er ist auf dem besten Weg in seinen ‚Subspace‘. Das ist eine SM-Session.
Und wem ich während der Tantra-Massage ein so schmutziges Wort einflüstere, dass ihm die Geilheit direkt in die Ohren schiesst, er aber erst in einer Stunde kommen darf und dazwischen mit Schwanzbondage und Rohrstockerziehung und der Erweckung seines Energiekörpers via meiner Fingerspitzen beschäftigt ist, der befindet sich in einer Tantra-Massage mit SM-Elementen.
Das Ziel dieser Pilgerreisen ist das Gleiche: Unser aller heiliger Subspace, die befriedende Körperchemie, tiefes Spüren, helle Freude und vor allem der Urlaub vom Ich. Um später wieder besser sich selbst sein zu können.
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