Endstation Sexarbeit?

Lady Melody reflektiert

Endstation Sexarbeit?

Wir haben es wohl alle schon 100 mal gehört: Sexarbeit, das ist der totale Abstieg, danach geht nichts mehr. Zuletzt las ich davon ausgerechnet auf Fetlife – von einer Frau, die zwar nie Sexarbeiterin gewesen ist, aber trotzdem dem Rest der Welt ein bisschen Weisheit mitteilen möchte. Die genau weiß: Eine Tätigkeit als Sexarbeiterin ist im späteren Leben zu nichts nutze, künftige Arbeitgeber werden es herausfinden und dich niemals, niemals einstellen, wahrscheinlich hast du am Ende auch noch ein schweres Trauma oder eine Geschlechtskrankheit.

Da meine Zeit im Lux jetzt bereits 6 Jahre her ist, lasse ich einmal Revue passieren, wie es seitdem für mich bergab ging. Als ich 2015 im Lux arbeitete, war ich in Ausbildung zur Psychotherapeutin. Eine Ausbildung, die leider mit Ausbeutung einher geht: unbezahlte Praktika in Vollzeit bei einer stattlichen Ausbildungsgebühr. Obwohl 90% der Auszubildenden Frauen sind, hat Alice Schwarzer gegen diese Ausbeutung von Frauen bisher noch keine Kampagne gestartet. Seltsam.
Einige meiner Kolleginnen haben für ihre Ausbildung hohe Schulden aufnehmen müssen, andere haben an den Wochenenden als Kellnerinnen gearbeitet und für ein paar Jahre auf ein Privatleben verzichtet (für 10 Euro pro Stunde). Ich war Domina (für 200 Euro pro Stunde). Als es auf die Abschlussprüfungen zuging, habe ich die Sexarbeit beendet – ohne Traumata, ohne Geschlechtskrankheit. Den psychischen Schaden, den einem die Sexarbeit angeblich verpassen soll, habe ich trotz ausführlicher Selbstests bis jetzt noch nicht gefunden.

Nach meiner Ausbildung habe ich mich schnell selbstständig gemacht. Ich konnte mir schneller als die meisten meiner Kolleginnen einen Patientenstamm aufbauen – denn während der Ausbildung haben wir zwar viel über psychische Störungen gelernt, aber rein gar nichts über Marketing, den Aufbau eines Online-Auftritts oder einer Website und den Einstieg in die Selbstständigkeit. Das meiste, was ich darüber wusste, habe ich im Lux gelernt. Und ob ich online Werbung für meine Arbeit als Domina oder als Psychotherapeutin mache, ist letztlich gar kein so großer Unterschied.
Was ich noch im Lux gelernt habe: ganz klar Grenzen setzen. Autoritär auftreten, wenn es sein muss. Selbstsicherheit. Ich bin die Domina, äh Therapeutin, und was ich tue ist richtig. Egal ob bei Gehaltsverhandlungen, in schwierigen Therapiesituationen oder in Meetings: wenn es die Situation erfordert, kann ich immer meine innere Domina rauslassen. 2018 bekam ich eine Kassenzulassung, lange vor allen anderen in meinem Jahrgang. Wahrscheinlich, weil viele sich die Verantwortung nicht zugetraut haben oder vor den finanziellen Investitionen Angst hatten. Aber die edle Einrichtung des Lux und die Reaktion der Gäste hat mich auch etwas darüber gelehrt, dass selbst teure Investitionen sich schnell auszahlen können.

Zu guter Letzt hat die Sexarbeit auch dazu beigetragen, dass ich mehr über Sexualität gelernt habe und darum auch mehr Einfühlungsvermögen habe, wenn mir meine Patient*innen schamvoll von ihren Neigungen erzählen. Ob ich im Lux von den Fantasien eines Gastes höre und versuche, diese Realität werden zu lassen oder von den Fantasien eines Patienten höre und dazu Ratschläge gebe, ist letztlich auch nicht so weit voneinander entfernt.

Zusammenfassend muss ich also sagen: Ja, Sexarbeit ist nach meiner Erfahrung wirklich das Ende. Das Ende von Nebenjobs auf Mindestlohnniveau, das Ende der Unfähigkeit, für sich selbst Werbung zu machen, das Ende der Angst vor der Selbstständigkeit und das Ende der sexuellen Voreingenommenheit. Ich würde jedem jungen Menschen, der mit dem Gedanken spielt, in die Sexarbeit zu gehen, empfehlen, das auch zu tun. Auch wenn es für viele, wie mich selbst, kein Job für den Rest des Lebens ist: die Dinge, die man dabei lernt, sind für den Rest des Berufslebens unbezahlbar.

Liebe Lady Melody,

danke, dass du uns mit deiner Anwesenheit bereichert hast. Wir wünschen dir alles Gute auf deinem weiteren Weg.

Herzliche Grüße

Das LUX Team

 

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