Queere BDSM-Räume als Orte sozialer Gerechtigkeit: Wie Lust, Macht und Identität neu verhandelt werden
Queere BDSM-Räume sind nicht nur Orte sexueller Auslebung, sondern auch politisch relevante Räume, die in der heutigen Gesellschaft eine radikale Bedeutung haben. In diesem Blogbeitrag werfen wir einen Blick darauf, wie diese Räume Normen infrage stellen und neue Formen von Macht, Lust und Gemeinschaft hervorbringen. Unsere ethnografische Studie zeigt, dass BDSM und Queerness mehr sind als nur eine Kombination von Identitäten und Praktiken – sie bieten die Möglichkeit, soziale Gerechtigkeit in einem konkreten, gelebten Raum zu erfahren.
Was sind Queere BDSM-Räume und warum sind sie politisch?
Queere BDSM-Räume bieten nicht nur eine Plattform für individuelle sexuelle Vorlieben, sondern sie sind auch ein Ort des Widerstands gegen gesellschaftliche Normen. Hier geht es nicht nur um Lust im herkömmlichen Sinne, sondern um die Aushandlung von Identität, Macht und Zugehörigkeit. Queere BDSM-Räume stellen nicht nur gesellschaftliche Normen infrage, sie machen diese verhandelbar. Sie bieten einen Raum, in dem es möglich ist, gegen die „Selbstverständlichkeiten“ der Mehrheitsgesellschaft zu agieren und neue, alternative Formen des Zusammenlebens zu erforschen.
Im Jahr 2025 führte meine Kollegin und ich eine ethnografische Studie mit dem Titel „Queerness & BDSM: Eine ethnografische Forschung zu queeren BDSM-Praktiken und -Identitäten in Berlin“ durch. Unser Ziel war es, die dynamische Beziehung zwischen Queerness und BDSM zu erforschen und zu verstehen, was passiert, wenn diese beiden Dimensionen aufeinandertreffen.
Lust ohne Norm: Wie BDSM und Queerness soziale Normen herausfordern
Die zentrale Frage unserer Studie war: „Wie verhalten sich Queerness und BDSM zueinander?“ Es ging uns darum, keine einfache Gegenüberstellung zu präsentieren, sondern die komplexen und oft ambivalenten Verflechtungen zwischen diesen beiden Feldern sichtbar zu machen. In queeren BDSM-Räumen ist Lust nicht normiert. Sie wird nicht durch gesellschaftliche Erwartungen wie Heteronormativität oder binäre Geschlechterrollen definiert, sondern entsteht aus einem kreativen und freien Aushandlungsprozess.
Lust in queeren BDSM-Räumen wird über Aspekte wie Intensität, Kontrolle, Hingabe und das Spiel mit Macht und Schmerz erzeugt, nicht durch die Erfüllung heteronormativer Erzählungen. Das Politische an diesen Praktiken ist weniger das Ereignis, sondern der Bruch mit den „Selbstverständlichkeiten“, die die Gesellschaft häufig vorgibt.
Queere BDSM-Spaces als Gegenöffentlichkeiten
Queere BDSM-Räume sind keine isolierten Rückzugsorte, sondern aktive Gegenöffentlichkeiten. Diese Räume sind nicht nur der Ausdruck individueller sexueller Vorlieben, sondern auch ein kollektiver Widerstand gegen die Ausgrenzung und Unsichtbarmachung von nicht-normativen Körpern und Identitäten. In diesen Räumen werden neue Bedeutungen von Körper, Lust und Macht geschaffen. Hier wird Gemeinschaft nicht durch Anpassung, sondern durch eine bewusste Aushandlung und gemeinsame Neuinterpretation von Normen gebildet.
Im Rahmen unserer Studie erweiterten wir unseren theoretischen Rahmen durch den Ansatz der Subaltern Counterpublicsvon Nancy Fraser, der uns half zu verstehen, dass queere BDSM-Praktiken als kollektive Reaktionen auf gesellschaftliche Ausschlüsse und Diskriminierung betrachtet werden können. Sie sind Räume, in denen alternative Formen der Gemeinschaft und Identität entstehen, die sich bewusst von den Normen der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen.
Körper, Macht und Umverteilung: Wie Queere BDSM-Spaces den Körper neu definieren
Ein zentrales Ergebnis unserer Interviews war, dass in queeren BDSM-Räumen Körper, die in der Gesellschaft häufig marginalisiert werden, eine neue Bedeutung erfahren. Trans*, nicht-binäre, asexuelle, be_hinderte/be_hindert werdende oder neurodivergente Körper werden nicht als „Defizite“ betrachtet, sondern als begehrenswert und kraftvoll. In diesen Räumen geht es nicht darum, den Körper nach gesellschaftlichen Schönheitsnormen zu bewerten, sondern ihn als eigenständige Quelle der Lust und der Kraft zu erleben.
Begehren wird in queeren BDSM-Spaces nicht entlang hierarchischer Normen verteilt, sondern immer wieder neu ausgehandelt. Macht wird nicht unsichtbar gemacht, sondern bewusst thematisiert, wobei Konsens Zwang ersetzt und Kommunikation Annahmen über den anderen ersetzt.
Soziale Gerechtigkeit als gelebte Praxis in BDSM-Räumen
Die Frage, wie soziale Gerechtigkeit in queeren BDSM-Räumen lebendig wird, ist ein zentraler Bestandteil unserer Studie. Soziale Gerechtigkeit entsteht nicht nur durch politische Programme oder Gesetze, sondern auch durch Erfahrungsräume, in denen neue Formen des Zusammenlebens erprobt werden. In queeren BDSM-Räumen wird gezeigt, dass Macht nicht zwangsläufig unterdrückt, dass Lust nicht an gesellschaftliche Normen gebunden und dass Körper nicht bewertet werden müssen, um Anerkennung zu finden.
Viele der Interviewpartner*innen berichteten, dass BDSM eine Möglichkeit für sie darstellt, Erfahrungen von Queerfeindlichkeit und Ausgrenzung zu verarbeiten und diese in etwas Empowerndes zu transformieren. BDSM wird hier zu einem Werkzeug der Selbstermächtigung, das nicht trotz, sondern wegen seiner Ambivalenzen, Komplexität und Konflikte eine neue Bedeutung erhält.
Fazit: Queere BDSM-Räume als radikale Entwürfe sozialer Gerechtigkeit
Unsere Forschung hat gezeigt, dass queere BDSM-Räume viel mehr sind als Orte sexuellen Ausdrucks. Sie sind radikale Gegenöffentlichkeiten, die alternative und transformative Formen von Lust, Macht und Gemeinschaft ermöglichen. Diese Räume sind nicht nur Zufluchtsorte, sondern lebendige Aushandlungsprozesse, die die gesellschaftlichen Normen infrage stellen und die Möglichkeit bieten, neue Wege des Miteinanders zu erkunden.
Queere BDSM-Räume sind, trotz aller Ambivalenzen und Widersprüche, utopische Entwürfe sozialer Gerechtigkeit im Kleinen. Sie bieten einen Raum, in dem Macht neu verhandelt, Lust neu definiert und Gemeinschaft auf andere, inklusive Weise geschaffen werden kann. Es sind Räume, in denen soziale Gerechtigkeit nicht nur gefordert, sondern auch gelebte Praxis ist.
In den kommenden Jahren planen Sarah und ich, unsere Ergebnisse weiter zu vertiefen und in einem wissenschaftlichen Artikel zu veröffentlichen, um die Diskussion über queere BDSM-Praktiken und ihre Bedeutung für soziale Gerechtigkeit weiter voranzutreiben.