Mein Coming-Out
Wie erlebt eine blinde Domina die Begegnung mit ihren Gästen?
Ich bin nervös. Gleich ist mein Gast da. Nervosität und Vorfreude wechseln sich bei meinen Vorbereitungen ab.
Im Spielzimmer überprüfe ich ob alles vorhanden ist und an seinem Platz sich befindet. Dabei präge ich mir ein wo was genau steht. Von Mülleimer, Küchenpapier, Silikonöl bis Kondome, Vibrator, Peitschen hat alles seinen Platz, auch in meinem Gedächtnis.
Es klingelt, ein letztes durchatmen und jetzt- konzentriert bleiben.
Ich öffne die Tür, lächle und begrüße extrovertiert meinen Gast. An seiner Stimme höre ich wie er sich gerade fühlt. Manchmal klingt die Stimme nervös, leicht zittrig. Ich weiß dann sofort wie ich mit ihm umzugehen habe. Ab jetzt beginnt der Stress für mich, denn da ist etwas, was mein Gast über mich nicht weiß.
Nach der Begrüßung folgt mir der Gast ins Spielzimmer.
Auf dem Weg vom Eingang bis ins Zimmer muss ich mir jede Unebenheit am Boden merken.
Beim Durchschreiten des Flures achte ich gleichzeitig darauf in meinen High Heels elegant auszusehen.
Nun betreten wir das Zimmer, ich gebe mit der Hand zu verstehen, er möchte sich setzen. Die Sitzmöglichkeiten sind so positioniert, dass ich niemals dem Gast direkt gegenüber sitze. Außer in einer Session, aber dann in größerer Distanz zu mir.
Im Gespräch schaue ich auf die Höhe seiner Augen im Gesicht. Im Spielzimmer positioniere ich meinen Gast um endlich beginnen zu können. Dabei lege ich meinen Fokus auf körpernahe Spielereien. Je näher ich am Körper arbeite umso besser kann ich hören und fühlen. Dann ist es nicht wichtig, dass ich eigentlich fast nichts sehe…
Nun kann ich mit meinen Stärken brillieren. Die Signale die ich von meinem Gast bekomme geben mir das Tempo vor. Ich ertaste mir den Weg in den Körper meines Gastes, zärtlich und mit viel Einfühlungsvermögen. Über meine Hände kann ich die Energie spüren die sich nun in seinem Körper aufbaut. Sein Körper ist ein Wunderwerk und einzigartig. Ich spüre jede Unebenheit, das weiche Gewebe, die Körpertemperatur, alles. Nun kann ich meine Konzentration auf das lenken was mir Freude bereitet, was ich wirklich kann, was uns beiden gefällt…
Meine Behinderung habe ich seit meiner Geburt. Eigentlich bin ich fast blind.
Das hat mich jedoch niemals davon abgehalten mich Herausforderungen zu stellen. In meinem Bestreben meine Möglichkeiten trotz Handicap auszureizen bin ich eine gute Problemlöser:in geworden.
Hier ein paar Beispiele für euch:
– Ich erkenne keine Uhr in keinem Studio, das kann man Sehvermögen nicht mehr erfassen. Entweder versuche ich dezent in einer fließenden Bewegung auf mein Handy zu spicken oder verlasse mich auf meine innere Uhr.
– Da Gläser in der Regel durchsichtig sind wie auch Wasser, überlasse ich es oft gerne meinen Gästen die Getränke einzuschenken. Verpackt als höfliche Geste mir gegenüber verhindere ich damit die Gläser zu überfüllen.
– Beim Anlegen von Hand- und Fußfesseln erkenne ich nicht die Löcher aber ich kann diese gut ertasten.
Als Domina bin ich quer durchs Land gereist und habe in verschiedenen Studios gearbeitet. Anderen Frauen habe ich das Handwerk der Domina/Bizarrlady beigebracht und Workshops angeboten. An der Stimme, die Art wie gesprochen wird, Wortwahl usw höre ich Emotionen und Stimmung heraus. Auch Körpersprache ist für mich viel aussagekräftiger als eine verbale Äußerung.
Besonders mein ausgeprägter Tastsinn hat mir in den letzten Jahren einen hervorragenden Ruf als Prosta-Masseur:in eingebracht.
Obwohl ich ein stark eingeschränktes Sehvermögen habe, die meisten merken es nicht gleich sofort. Tatsächlich falle ich nicht auf wegen dieser “Schwäche”.
Vielmehr errege ich Aufmerksamkeit durch meine sanfte Stimme, meine Outfits und eine selbstbewusste Körpersprache.
Mein Outing erscheint mir als ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung. So möchte ich mit der neu gewonnenen Freiheit mehr ich selbst sein.
Gleichzeitig möchte ich drauf hinweisen, wie egal für mich das äußere Erscheinungsbild ist. Ich bin ein Teil der “Vielfalt” unserer Gesellschaft, ich selbst halte Vielfältigkeit für absolut begrüßenswert.
Dieses wunderschöne Zitate aus dem Buch “Der kleine Prinz” trifft mein Lebensmotto ganz genau.
ZITAT VON ANTOINE DE SAINT-EXUPÉRY
Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
Durch die Aufgeschlossenheit und Loyalität meiner Kolleg:innen erfahre ich ein Empowerment, dass ich mir mein ganzes Leben gewünscht habe. Was ich brauche, was ich nicht kann und worin ich Unterstützung benötige, das kommuniziere ich.
Etwaige Klischees “als Blinde” kann ich nicht bedienen. Stattdessen hatte ich einen ungewöhnlichen Lebensweg bis hierher. Mit einer ordentlichen Portion Humor und als Querdenker:in schreite ich voran.
Ich freue mich auf einen neuen Lebensabschnitt, interessante Begegnungen und uneingeschränkte Lebensfreude.
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Lady Carmen ist ein ehemalige Teammitglied
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